Dr. med. Antonia Stahl & Kollegen

Praxen für Ernährungsmedizin und hausärztliche Versorgung

Mikrobiom 

Wie fast alles in der Natur ist auch unser Körper alles andere als keimfrei; er bietet sogar einer Vielzahl an Bakterien und anderen Organismen ein wohlig warmes Zuhause. Allerdings müssen diese Mitbewohner, ähnlich wie Studenten eines Wohnheims, in Schach gehalten werden, damit sie nicht auf falsche Gedanken kommen und ordentlich ihre Aufgaben erledigen. Solche Bakterien und Mikroorganismen befinden sich bevorzugt auf unserer Haut, in den Schleimhäuten und im Darm (man fasst diese auch unter dem Begriff Mikrobiom zusammen). Sie helfen dem Körper, indem sie u.a. den schädlichen Bakterien buchstäblich den Platz streitig machen oder mit ihnen um die Nährstoffe konkurrieren. Eine besondere Rolle spielen die Mitbewohner unseres Darms: sie fermentieren nämlich jene Kohlenhydratreste, die der Körper nicht spalten kann (z.B. Ballaststoffe) zu  bestimmten Molekülen, welche der Körper dann wiederum zur Energieerzeugung benutzt. Mit 100 bis 200 verschiedenen Stämmen, beherbergt unser Darm die meisten Mikroorganismen (es kommen sogar 1012 Zellen auf 1g Dickdarm). Jedoch ist die Bakterienzusammensetzung von Darm zu Darm (sprich von Mensch zu Mensch) so unterschiedlich, dass es kein eindeutig definiertes Darmmikrobiom gibt. Als Indikator für eine gesunde Darmflora, kann man sich an der Artenvielfalt, also der Anzahl der verschiedenen Spezies, orientieren. Je geringer die Artenvielfalt, desto eher steigt das Risiko für eine Fehlentwicklung der Mikrobiota und damit auch das Risiko für Darmbeschwerden. 

Im Laufe des Lebens verändert sich die Darmflora; als Neugeborene ist unser Darm (bei einer natürlichen Geburt) vorwiegend von den vaginalen Bakterien der Mutter geprägt. Auch die Ernährung während der Schwangerschaft und die Tatsache, ob ein Säugling mit Muttermilch oder Ersatzmilch gefüttert wird, wirkt sich auf die kleinen Bewohner des Darms aus. Muttermilch besteht in erster Linie neben Wasser aus Eiweißen, Fetten und Kohlenhydraten, welche dem Säugling die nötige Energie zum wachsen geben. Im Unterschied zur industriell hergestellten Ersatzmilch, verfügt Muttermilch darüber hinaus besonders in den ersten Monaten nach der Geburt über verschiedene Antikörper, welche dem Neugeborenen den sogenannten Nestschutz verleihen. Dieser schützt zum gewissen Maße vor Erkrankungen, da sich das Immunsystem des Kindes noch entwickeln muss. Außerdem befinden sich in der Muttermilch natürlicherweise bis zu 600 verschiedne Bakterienarten. Zu den wichtigsten gehören hierbei die Bifidobacterien, welche sich im Darm ansiedeln und dem Immunsystem helfen, Krankheitserreger abzutöten. Spezielle Kohlenhydrate der Muttermilch fördern dabei die Ansiedlung der Bifidobacterien und haben somit einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Darmflora.        

Durch die Nahrungsumstellung von Muttermilch auf feste Nahrung verwundert es nicht, dass sich die bakterielle Besiedlung des Darms an diese Veränderung anpasst. Ab ca. dem dritten Lebensjahr ist der Körper mit seiner “endgültigen” Darmflora besiedelt, welche dann auch in ihrer Zusammensetzung bis ins hohe Alter relativ konstant bleibt (vorausgesetzt es finden keine großen diätetischen Umstellungen oder Antibiotikaeinnahmen statt). Die Bifidobacterien nehmen hier in der Regel ab und machen u.a. den Bacteroidetes und Firmicutes platz. 

Im Alter (>65 Jahre) sinkt die mikrobielle Vielfalt aufgrund verschiedener Faktoren im Darm. Zu diesen Faktoren zählen u.a. die Verschlechterung des Zahngebisses, eine verlangsamte und ineffektivere Verdauung, sowie eine durch sich häufende gesundheitliche Probleme veränderte Alltagssituation (es wird z.B. weniger abwechslungsreich gekocht und gegessen). 

Wie oben schon angedeutet, wird unsere Darmflora stark von unserer Ernährung beeinflusst. Zimmer und Kollegen verglichen Stuhlproben von Probanden mit vegetarischen/veganen Essgewohnheiten mit denen von Probanden mit der üblichen westlichen Mischkost (*). Obwohl in jeden Stuhlproben die gleichen bzw. ähnliche Bakterienstämme nachgewiesen wurden, unterschieden sie sich hinsichtlich der prozentualen Zusammensetzung der verschieden Bakterienstämme. Kennzeichnend für die vegetarische Kost ist ein hoher Anteil an Stärke, Ballaststoffen, pflanzlichen Proteinen und Kohlenhydraten (zum Vergleich: der normale westliche Speiseplan ist sehr fett- und zuckerreich, besteht aus vielen tierischen Proteinen und wenig Ballaststoffen). So verfügen Vegetarier über eine höhere Anzahl von Bakterien, die diese Nährstoffe verwerten können. Dabei produzieren sie letztendlich kurzkettige Fettsäuren, welche den Darm vor Entzündungen schützen und vom Körper wieder in Energie umgewandelt werden können. Außerdem wiesen die Probanden mit der vegetarischen/veganen Ernährung eine vergleichsweise höhere Bakterienvielfalt auf. Studienergebnisse deuten darauf hin, dass eine verminderte Bakterienvielfalt im Darm Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht (Adipositas) und bestimmte boshafte Neubildungen begünstigen kann.

Eine besondere Rolle spielen antibiotikaverursachte Darmentzüdungen. Antibiotika sind eine der bedeutsamsten Erfindungen der Medizin, da sie Millionen Menschen das Leben retten, indem sie Bakterien abtöten. Allerdings töten sie auch oft jene freundlichen Bakterien ab, die unserem Körper helfen. Dadurch kann sich die Zahl der gesunden Bakterien im Darm verringern, wodurch schädliche Bakterien (z.B. Clostridium difficile) wiederum diese Situation ausnutzen und sich vermehren. Patienten mit einer erhöhten Besiedlung von C. difficile leiden unter wiederkehrenden Darmentzündungen mit schweren Durchfällen (man nennt dieses Krankheitsbild auch Antibiotika-assoziierte Collitis). Da viele Betroffene in diesem Fall nicht auf eine weitere Antibiotikatherapie ansprechen, gibt es seit einigen Jahren die Möglichkeit einer sogenannten Stuhltransplantation. Hierbei versucht man durch die Gabe von gesundem Stuhl mit einer intakten Darmflora die kranke Darmflora des Patienten auszutauschen. Die Bakterien der gesunden Darmflora konkurrieren daraufhin z.B. mit dem C. difficile um Nährstoffe und Platz, wodurch die schädlichen Bakterien letztendlich wieder zurückgedrängt werden und sich die Darmschleimhaut wieder regenerieren kann.   



Anmerkung: Die in der Studie als vegetarisch/vegan bezeichnete Ernährung soll hier im Gesamtbild als ausgewogene Ernährung gemäß der 10 Regeln der DGE (viel Ballaststoffe, Gemüse, wenig aber qualitativ hochwertiges Fleisch, wenig Zucker und gesättigte Fettsäuren) verstanden werden. 


 



*Zimmer J, Lange B, Frick JS, Sauer H, Zimmermann K, Schwiertz A, et al. A vegan or vegetarian diet substantially alters the human colonic faecal microbiota. European Journal of Clinical Nutrition. 2012; 66:53–60.
*Gupta A, Khanna S. Fecal Microbiota Transplantation. JAMA. 2017; 318:102.
*Cresci A, Bawden E. The Gut Microbiome: What we do and don't know. Nutrition in Clinical Practise. 2015; 30:734-746.